Grenzen van Inclusief onderwijs: visie van ministerpresident van Saarland
Inklusion: Nicht mit der
Brechstange
(Die ZEIT, 25 juli 2014)
Ja, Menschen mit Behinderungen lassen sich noch stärker
integrieren, vor allem an Schulen. Aber es gibt Grenzen Ein Gastbeitrag von
Annegret Kramp-Karrenbauer Ministerpräsidentin des Saarlandes
In Deutschland hat sich über viele Jahre ein breites
Unterstützungsnetzwerk und System von Hilfen aufgebaut angefangen von der
Frühförderung über Tagespflegestätten für schwerstmehrfachbehinderte Menschen,
über differenzierte Förderschulen bis hin zu beschützenden Werkstätten und
integrativen Betrieben von der klassischen Eingliederungshilfe also bis zur
individualisierten Unterstützung. Es ist ein beachtliches System, das sich dort
in vielen Jahrzehnten unter tätiger Initiative und Mithilfe gerade von
Betroffenen und Ehrenamtlichen entwickelt hat auch wenn es dabei immer noch
vieles zu verbessern gibt.
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Jetzt wird dieses Netz zunehmend infrage gestellt. Das neue
Konzept lautet: Inklusion, die Eingliederung behinderter Kinder in allgemeine
Schulen. Die Inklusion ist nach meiner
Wahrnehmung das polarisierendste Thema in der aktuellen innenpolitischen
Debatte. Dahinter verbirgt sich die Frage, ob Deutschland nach der Übernahme
der UN-Konvention über Rechte von Menschen mit Behinderungen sein bisheriges
System beibehalten kann und ob das bisherige System überhaupt geeignet und
darauf angelegt war, Menschen mit Behinderungen die volle Teilhabe an der
Gesellschaft zu ermöglichen. Brauchen wir, kurzum, eine völlige Umkehrung der
bisherigen Praxis?
. Radikale Stimmen finden sich in dieser Debatte auf beiden
Seiten. Inklusionsbefürworter lehnen puristisch jede Sondereinrichtung von
Werkstätte bis Förderschule ab. Vehemente Gegner beharren auf deren bedingungs-
und alternativloser Beibehaltung. Wahlweise hält man sich grenzenlose Naivität
vor oder glaubt, die Menschenrechte vor Inklusionsskeptikern retten zu müssen
Versündigt man sich an seinem Kind, wenn es die Förderschule
besucht? Setzt man es halb garen Bildungsexperimenten aus, wenn man sich für
eine inklusive Beschulung entscheidet? Die individuelle Situation und
Entscheidung der einzelnen Familien bleibt in einem solchen Umfeld keine rein
persönliche Angelegenheit. Familien mit behinderten Kindern werden so vor allem
zu Projektionsflächen für gesellschaftliche und politische
Auseinandersetzungen.
Dort, wo eigentlich maßgeschneiderte individuelle
Unterstützung der Betroffenen nötig wäre, greifen zunehmend unversöhnliche
Positionen und der Wettlauf um vermeintlich beste Inklusionsquoten um sich. Man
kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dabei der gesunde
Menschenverstand, ein nüchterner Blick für Möglichkeiten und Zeitkorridore und
vor allem die Bedürfnisse der Betroffenen auf der Strecke bleiben.
Nicht mit der
Brechstange
Gerade an diesen Beispielen wird deutlich, dass ein
Verschieben des Maßstabes "normal" in vielen Fällen mit mehr Lebensqualität
für alle verbunden wäre. Aber wie ist es in der Schule? Wäre es nicht normaler und damit auch menschlicher, wenn es auch in der
Schule keine Kategorien mehr gäbe? Wenn alle zusammen unterrichtet würden
Starke und Schwache? Wie wir diese Frage beantworten, hängt, deutlich gesagt,
davon ab, worum es uns geht: um gesellschaftliche Veränderung oder um das
individuelle Recht jedes Einzelnen auf bestmögliche Förderung und Ausbildung.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Bildungspolitik vor
allem dafür sorgen soll, dass Menschen die Möglichkeiten bekommen, sich ganz
persönlich bestmöglich entwickeln und leben zu können. Die öffentliche
Diskussion um inklusive Beschulung ist geprägt von Bildern. Das Kind mit Downsyndrom,
das etwa im Klassenverband der Grundschule mit anderen lernt und spielt. Oder
der begabte Schüler im Rollstuhl, der am Gymnasium ohne Probleme das Abitur
schafft. Dies sind die optimistischen, ansprechenden Bilder. Vor
Herausforderungen stellen uns die anderen Bilder. Wie einen
schwerstmehrfachbehinderten Schüler mit Magensonde und dem Hang zu
Krampfanfällen inklusiv beschulen? Brauchen wir dann in den Schulen neben
Förderlehrern und Integrationshelfern auch medizinisches Personal?
Wie umgehen mit einem
Kind aus dem Förderbereich "emotionale Entwicklung" mit stark auto-
und fremdaggressivem Verhalten, das selbst am Unterricht in der Förderschule
nur mit einer Eins-zu-eins-Betreuung teilnehmen kann?
Die schwierigste
Gruppe ist die der Kinder mit Lernstörungen. Ja, es stimmt: In der
Vergangenheit sind sicher zu viele Kinder zu früh von Regelschulen auf
Förderschulen geschickt worden. Aber es bleibt die Frage, wie sich ein Kind
fühlen muss, das in der Klasse immer nur die schlechten Noten bekommt, das
keine Erfolgserlebnisse hat. Noten abschaffen, empfehlen die einen. Sie
vergessen dabei, dass sich Menschen und besonders Kinder immer miteinander
messen und vergleichen. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Vieles an
sozialen Errungenschaften können wir nur finanzieren, weil wir so
leistungsstark sind. Ich hielte es für falsch, wenn Schule diesen Umstand nicht
auch in einem gesunden Maß abbilden würde
.
Was also soll Politik tun?
1. Sie darf Inklusion nicht gegen das bestehende System
betreiben. Sie muss vielmehr verstehen, dass auch alle bereits bestehenden
Möglichkeiten dem Ziel dienen, Menschen zu fördern und ihnen Teilhabe zu
ermöglichen. Ein erster Schritt wäre es, Abschlüsse der Förderschulen generell
anzuerkennen.
2. Sie muss den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt
stellen. Für die betroffenen Menschen sollen die besten Wege gefunden werden.
Ziel muss sein, dass jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten und vor allem seiner
Wünsche teilhaben kann. Für den einen ist dies die inklusive Beschulung, für
den anderen die Förderschule. Für den einen ist es die beschützende Werkstätte,
für den anderen der Integrationsbetrieb. Für den einen ist es das Wohnheim, für
den anderen die eigenständige WG.
3. Sie darf Inklusion nicht mit der Brechstange durchsetzen,
sondern mit Blick auf Möglichkeiten, Ressourcen und die Interessen aller
Beteiligten auch der Nichtbehinderten. Sie muss dazu genau festlegen, wie
viel Geld etwa zur Veränderung von Gebäuden zur Verfügung steht und wie viele
Lehrer, wie viele Integrationshelfer sich realistischerweise um Menschen mit
Behinderungen kümmern können. Das wird dazu führen, dass nicht jeder inklusive
Beschulungswunsch an jeder einzelnen Schule erfüllt werden kann. Ein System von
gut erreichbaren Schwerpunktschulen wäre hier ein vertretbarer Kompromiss.
4. Sie muss deutlich machen, dass Inklusion bedeutet,
Menschen mit Behinderungen nicht schlechter-, aber auch nicht besserzustellen.
Das Gymnasium etwa soll als Schulform zum Abitur führen. Daran bemisst sich die
Frage des Zugangs. Und zwar für alle Kinder egal, ob behindert oder nicht
behindert.
5. Sie muss Inklusion als dauerhaften vielschichtigen
Prozess verstehen. Wir haben am jetzigen System jahrzehntelang gebaut, und wir
werden auch für den inklusiven Prozess lange brauchen.
Die Politik muss sich schließlich ideologisch entkrampfen
und sich immer wieder bewusst machen: Es geht um die Menschen und darum, was
sie wollen.